Kaufbeuren Kunst, so lehrt die Erfahrung, ist eine Mischung aus Handwerk und Talent. Vieles an ihr kann man lernen, das entscheidende Quäntchen zur Perfektion aber muss der Künstler selber mitbringen, sonst wird es nichts mit ihm. In Berlin gibt es seit kurzem mit Richard Rogler den ersten Professor für Kabarett. In Zukunft also, so stellt man sich das vor, werden die Brettl-Bühnen von Diplomkabarettisten bevölkert, und Referenz-Presse und CDs, sondern auch Hochschulzeugnisse auf den Schreibtisch.

Momentan jedoch, so lässt sich mit Erleichterung feststellen, handelt es sich beim klassischen Kabarettisten um einen Quereinsteiger. Ein Mensch also, der einen ganz anderen Beruf gelernt hat, dem aber der Alltag irgendwann über den Kopf gewachsen sein muss, so dass er sich fortan als Reisender in Skurrilitäten betätigt. Christian Überschalls Kultprogramm „Die Zuzibilität der Weißwurst“ ist eigentlich nichts anderes als ein Schnellkurs in dialektaler Linguistik. Doch während Studenten bei solchen Ausführungen in den Hörsälen mit dem Schlaf kämpfen, bekommen es die Zuschauer bei Überschall hauptsächlich mit ihrem Zwerchfell zu tun.

Im restlos ausverkauften Satchmo’s geht es zunächst um die Herkunft, ein geschickter Auftritt durch die Hintertür. Das deutsche „Autobahndreieck“ in der Schweiz „Verzweigung“ und in Österreich „Verknotung“ genannt, dient Christian Überschall als erstes Beispiel der babylonischen Sprachverwirrung im deutschen Sprachraum und bietet zugleich einen ersten Interpretationsansatz zu Logik beziehungsweise Unlogik der jeweiligen Volksseele. Wer austeilen will, muss auch einstecken können. Weil ein Kabarettprogramm aber kein Dialog, sondern ein Monolog ist, legt Überschall zunächst ein paar Witze zur Schweizer Mentalität vor. Der Schweizer als Temposünder, wenn auch im umgekehrten Sinne, der die Schnecke als zappeliges Tierchen bezeichnet. Oder das Sexualverhalten der Schweizer als „Erregungskurve, die flach anläuft, um dann abrupt abzubrechen“.

In medium rex

Nach einer kleinen Klaviereinlage aber geht es dann „in medium rex“, rein in die bayerische Volksseele. Seit zwei Jahrzehnten lebt Christian Überschall in München, und er hat die Zeit reichlich genutzt zum Zuhören und Zusehen. Alles lässt sich aus seiner Sicht linguistisch interpretieren. Zum Beispiel die bayerische Orientierungslosigkeit, die sich in Ausrufen wie „ja wo samma denn“ manifestiert. Oder das berühmte „geh kimm“, das Überschall den kategorischen Imperativ der Bayern nennt. Über bayerische Tautologien wie „mir san mir“ geht es dann auf geradem Weg ins „Feuchtbiotop München“, wo der Schweizer Statement-Perlen am laufenden Meter zusammengetragen hat.

Bei alldem aber wird Überschall niemals auch nur ansatzweise beleidigend oder diskriminierend. Es sind die liebenswerten Gewohnheiten eines Menschenschlags, die er aufs Korn nimmt. Sein schlimmster Albtraum, so der Kabarettist, sei es, irgendwann plötzlich in Niedersachsen aufzuwachen – mitten unter Menschen, die, jedenfalls von hier aus betrachtet, über weniger profilierte Volksbräuche verfügt. In Bayern jedoch geht Überschall die Puste noch lange nicht aus. Zweieinhalb Stunden Kabarett-Power vom Feinsten, vom Satchmo’s-Publikum heftig bejubelt.

 

Allgäuer Zeitung, 05.01.2001 – André Krellmann